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Deutsche historische Genusswelt

Culinary History der deutschen Küche

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Salat Olivier


Der kulinarische Abstieg eines edlen Klassikers

Würde es Sie sehr verwundern, wenn ich sage, auch der »Salat Olivier« ist ein gutes Beispiel für die kulinarische Kleptomanie in der Kochgeschichte? Doch der Salat ist noch mehr. Er ist ein beredtes Beispiel dafür, wie Kochkunst im Laufe vieler Jahrzehnte verkommen kann.

In Deutschland kennt den »Salat Olivier« oder »Salat de boeuf« niemand, und doch ist er allgemein bekannt. Geläufiger ist der Salat unter »Russischer Salat« oder auch russischer Kartoffelsalat. Die heutige Variante des Salats hat nichts mehr von den Feinheiten seines Schöpfers Lucien Olivier und ist zu dem verkommen, was man allgemein als Arme-Leute Küche bezeichnet. Das ist noch unter guter Hausmannskost.

Die traurige Salatgeschichte


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Grabstein Lucien Olivier

beginnt im Jahr 1861. Der junge Lucien Olivier [1838-1883] aus einer französischen Gastronomiefamilie der Provence stammend, Jüngster von 3 Brüdern. Seine Kochlehre absolvierte er im Familienrestaurant. Dem jungen ambitionierten Koch wurde das Leben in seiner Heimat zu einseitig, er wollte die Welt sehen. Sein Weg führte ihn über Belgien nach Moskau. Im zaristischen Russland brachte man allem Französischen viel Interesse entgegen, und er fand, dass hier Restaurants mit französischer Küche fehlten.
Gemeinsam mit seinem Freund Jacob Pegova, einem Schnupftabak-Kaufmann, saß er bei einem „Pfeifchen“ und meinte, warum nicht Räume pachten und die Idee umsetzen?

1861 wurde Lucien Olivier Pächter des Hotels »Ermitage« und Mitgründer der »Toverne Gostinicy „Ermitaž Olivier“«. [Fundstelle: Amburger Datenbank, Sobr.uzak. 1883, 663, Datensatz 88609]

Lucien Olivier war zu dieser Zeit bereits ein bekannter Koch in Moskau. Seinen Gästen, die das Besondere liebten, bot er zuerst Familienrezepte an, die sehr positiv aufgenommen wurden. Aus dem »Salat de boeuf«, einem Klassiker der französischen Küche, entwickelte er seinen Salat „Ermitage“. Da Rindfleisch nicht so gut zu bekommen war, verwendete er andere Zutaten. Auf der Generalprobe wurde der Salat nicht zusammengepanscht, wie heute üblich, sondern nach französischem Vorbild fein angerichtet und mit einer speziellen „Wildmayonaise“ benetzt.

Olivier beobachtete, dass die wenig geschulten Feinschmecker den filigran angerichteten Salat erst einmal „vermanschten“ und dann genussvoll löffelten. Obwohl ihm das Herz blutete, insbesondere, weil man ihm vorwarf, mit der wunderbaren Sauce zu geizen, fügte er sich, der Salat schien zu gefallen. Dieser köstliche und reiche Salat wurde sein kulinarisches Meisterstück und bescherte ihm die bis heute andauernde Anerkennung. Viele Gäste besuchten sein Restaurant nur wegen dieses, sehr schnell bekannt gewordenen, Salats.

Große Köche sind Perfektionisten, Eigenbrötler und auf eine gewisse Art auch Diven. Auf Olivier traf das mehrfach zu. So war sein Markenzeichen, stets schwarz gekleidet zu sein, er „schnupfte“ ein wenig und hielt seine gesamten Kreationen unter Verschluss. Sein Tresor war sein Kopf.

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Eingang zum Restaurant

Erfolg weckt Begehrlichkeiten und Neid. Iwan Ivanov, sein Schüler und Sous-Chefs, versuchte, das Rezept zu stehlen. Während der Vorbereitungen zu einer Abendveranstaltung, Olivier war alleine, wie es seine Gewohnheit war, wurde er plötzlich abberufen. Ivanov schlich sich in die privaten Küchenräume Oliviers und suchte die Rezeptur des berühmten Dressings. Gefunden hat er nichts.
Kurz darauf wechselte Ivanov in das Restaurant Yar, das einen etwas geringeren Ruf als das von Olivier hatte. Hier bereitete er einen verdächtig ähnlichen Salat unter dem Namen »Stolichny Salat«. Es wurde von Feinschmeckern aus dieser Zeit berichtet, dass das Dressing auf Ivanovs Salat geschmacklich von einer weit geringeren Qualität war, es fehlte etwas. Später verkaufte Ivanov das Rezept an verschiedene Verlage, was weiter zu dessen Popularität beitrug. Aufgrund der Schließung des Restaurants »Ermitage« 1905, konnte der Salat nun offiziell als »Salat Olivier« bezeichnet werden. Mit Lucien Olivier lebten seine Mutter und Schwestern in Moskau. Als sie Moskau verließen, gaben sie das Rezept frei.

Über den Tod Lucien Oliviers gibt es nur Vermutungen, das heißt, über die Ursachen, die dazu führten. Am 24.6.1883 wurde der bekannte Koch in Moskau auf der Straße tot aufgefunden, offensichtlich erstochen. In anderen Berichten über den Tod ist zu lesen, er wurde erschossen. Das Grab auf dem Vedensky Friedhof, im Volksmund der „Deutsche“ genannt, wurde nur durch Zufall 2008 entdeckt und liebevoll wieder hergerichtet.

Das sich die zaristische Bourgeoise nicht für einen Salat erwärmt haben wird, der nur aus Kartoffeln, Erbsen, Salzgurken und Möhren bestand, steht außer Zweifel. Der vulgäre Abstieg des edlen Gourmet Salats begann mit dem Tod von Lucien Olivier. Ganz speziell jedoch mit dem Sturz des Zarenreiches.

Es sind nicht allein nur die Zutaten des Salates, die sein Geheimnis ausmachten, es war die „Wildmayonnaise“. Eine Adaption der Provence Mayonnaise seines Vaters. Wir wissen, dass der Begriff Provence in der Gastronomie Oliven, Kräuter und Knoblauch erwartet. Olivier fügte dieser Mayonnaise noch Dijon Senf hinzu. Das nicht zu reproduzierende Geschmacksgeheimnis liegt für mich in den Kräutern und dem verwendeten Wildfond. Die Mayonnaise wird als sehr fein im Geschmack beschrieben.

Die bis heute vermuteten Zutaten aus der Erinnerung von ehemaligen Stammgästen:

  • Salatbett
  • Fleisch vom Auerhahn, Schneehuhn oder Haselhuhn
  • Wildaspikwürfel
  • Rinderzunge,
  • Languste oder Flusskrebse
  • Schwarzer Kaviar

Der Kegel im Mittelpunkt:

  • eine Backkartoffel, ausgehölt, sie dient nur als Gerüst
  • Cornichons
  • Sojabohnen-Paste
  • Frische grüne Gurke, gehackt
  • kleine Kapern, mariniert
  • hart gekochte Wachteleier
  • Trüffel

Die Wildhuhnfilets werden in Tranchen geschnitten, die Kartoffel damit verkleidet zu einem „Schaustück“. Die Scheiben der Zunge werden über lappend auf den verkleideten Sockel drapiert, die Krebsschwänze umkränzen auslaufend den Kegel. Die Ausläufer der Tranchen werden mit Gelee-Würfeln aus dem Wildfond bekränzt, mit der Mayonnaise „bekleckert“. In der Mitte ist nun ein Kegel entstanden, der mit dem Kartoffelfleisch, gewürzten Gurken, in Scheiben geschnittenen hartgekochten Wachteleiern gefüllt ist. Laut Olivier, war der zentrale „Hügel“ nicht zum Essen bestimmt, sondern nur ein Element des Dekors. Dennoch war er essbar, jedoch nicht angemacht, nur gefüllt und in der Schale. Als Olivier sah, wie viele russische »Barbaren« das aufwendige Design sofort mit einem Löffel zu Brei verrührten, noch Mayonnaise nachforderten, war er entsetzt.

Der kulinarische Effekt


Die Aspikwürfel schmelzen bei Wärme, egal ob im Raum oder im Mund, und geben dem Gericht zusätzlich einen feinen Geschmack. Der Fond verdünnt die relativ steif zu haltende Mayonnaise und die Geschmäcker verbinden sich.

Mein Tipp: Der Hügel im Mittelpunkt sollte wie Kartoffelsalat mit Kräuteressig und Öl angemacht werden, das gibt der ganzen Konstruktion eine weitere Pikanterie. Der ursprünglich von Olivier gewählte Name „Wild-Mayonnaise“ weist uns eigentlich den Weg zu den Kräutern, die im Wildfondaspik wieder auftauchen. Dass der Salat von Ivanov nicht den gleichen Geschmack hatte wie der von Olivier, hat sicher auch etwas mit den schmelzenden Aspikwürfeln zu tun.

Möhren, Erbsen und fade Wasser-Mehl-Mayonnaise aus dem Eimer haben in diesem Salat nichts zu suchen. Eine Aioli, die scheinbar die Basis dieser Wildmayonnaise ist, kann man sich allein herstellen.

Ja, eine Kreation die einem Küchenmeister auch heute noch würdig wäre.

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