~~META: creator = Justine Marén &date valid = 2023-01-15 ~~
Anna Kartoffeln
Geschenk an eine Löwin
Es ist immer wieder ein beliebter Auftakt in Histörchen zu schreiben: „Kartoffeln für eine Hure“. Das klingt so schön verrucht und hat das Flair des Liederlichen. Wenn es auch nicht falsch ist, so ist es auch nicht richtig. Anna Kartoffeln sind eine Beilage, die, weil sie als sehr kalorienreich gilt, im deutschsprachigen Raum nicht sehr beliebt ist. Bei unseren französischen Nachbarn haben sie eine lange Tradition. So lang, dass es sogar eine spezielle Form zur Herstellung dieses Gerichts gibt - la cocotte à pommes Anna.
Das Kartoffelgericht soll 1870 das Licht der kulinarischen Welt erblickt haben. Man kann als gesichert ansehen, dass es für Anna des Lions gedacht war, eine schöne Schauspielerin und Löwin des Boulevards im Second Empire [1852 bis 1870] in Frankreich, dem Kaiserreich unter Napoleon III. Bewiesen ist es bis heute allerdings nicht. Im Gespräch ist auch die Schauspielerin Anne Marie-Louise Damiens, genannt Anna Judic, was jedoch nicht wahrscheinlich ist. Sie wurde erst nach 1878 bekannt, unter anderem als „Schöne Helena“ am Théâtre des Variétés.
Anna des Lions lebte von 1838 -1894, verschiedentlich sagt man auch 1820 – 1874. „Man hörte einen ganzen Chor der Anerkennung, wenn sich die bekannten Schönheiten dieser Zeit wie Leonide Leblanc, Cora Pearl, Marguerite Bellanger oder Anna Deslions, um nur einige aus der Partitur der verwöhnten Aspasien zu nennen, durch die Straßen chauffieren ließen“. sagte Charles-Augustin Sainte-Beuve (1804 - 1869). Ich habe auch schon gelesen, dass sie die uneheliche Mutter von Marie Colombier [1844-1910] gewesen sein soll, eine Schauspielerin und Kollegin der Sarah Bernhardt. Anna begann mit 16 Jahren ihre Karriere in den Boulevards und hatte mehrere „vaterlose“ Kinder.
Für besondere Herren war sie auch Annette, residierte im berühmten „Le Grand 16„ des „Café Anglais“ in Paris. Sie soll vom Maître oder Eigentümer, des „Café Anglais“ tief verehrt worden sein. Im Second Empire unter Napoleon III. war es absolut üblich, dass sich die schönen Frauen des Theaters Kontakte und Wohlstand durch kleine „Gefälligkeiten“ erkauften. Je berühmter der Bekanntenkreis der „Edelhuren“, wie man heute sagen würde, je größer der Wohlstand. Zu Annas Verehrern soll unter anderem Plon-Plon, Prinz Napoleon, gehört haben. Die „Insoumises“ dieser Epoche wurden nicht mit Geld bezahlt, sondern durch kostbare Geschenke finanziell abgesichert.
Im „Café Anglais“ des Second Empire war Adolphe Dugléré (1805 - 1884) Küchenchef, ein Schüler von Antoine Carême. 1833 wurde er sein Nachfolger im Haushalt des Baron Rothschild, 1848 wurde ihm die Küche des Restaurants „The Brothers of Provence“ im Palais Royal in Paris angetragen, und 1866 verpflichtete ihn Paul Chevreuil als Küchenchef für das „Café Anglais“.
Dugléré wird vielfach unterstellt, er hätte das Gericht für die Kokotte Anna geschaffen, weil er ihr verfallen war. Das wird nirgendwo bestätigt. Er war ein strenger, stiller und geradliniger Küchenchef, der seinen Mitarbeitern Alkohol streng untersagte und es auch nicht mochte, wenn während eines Menüs geraucht wurde, oder Aschenbecher auf dem Tisch standen. Auftraggeber für das Gericht waren entweder Paul Chevreuil oder Prinz Napoleon.
1802 eröffnet, wurde das Restaurant zu Ehren des Vertrags von Amiens, einem Friedensvertrag zwischen England und Frankreich, so benannt. Anfangs bestand das Klientel aus Kutschern und Hausangestellten, später frequentierten es Schauspielerinnen und deren Gönner aus der Nähe des Opera House. 1822 wandelte es der neue Inhaber, Paul Chevreuil, in ein elegantes Restaurant, das sich seinen Ruf durch gut geröstetes und gegrilltes Fleisch erwarb. Mit dem Einstieg von Chef Adolphe Dugléré erreichte das Café Anglais seinen höchsten gastronomischen Ruf. Ab diesem Zeitpunkt verkehrten hier die Reichen und Mitglieder der Aristokratie von Paris.
Anna und die Kokotten des Second Empire dienten Emile Zola als Vorlage für seinen Roman Nana. Die Geschichte einer jungen Frau aus dem Volk, die dank ihrer sexuellen Attraktivität einen Aufstieg zur kostenträchtigen Geliebten eines Grafen erlebte. Durch ihren Hang zu Ausschweifungen aller Art endete sie jedoch in Niedergang, Krankheit und frühem Tod. Als Vorlage für Nana diente in erster Linie Blanche d’Antigny, aber auch Anna Des Lions und Hortense Schneider.
Anna Kartoffeln wurden in das berühmte „Guide de Culinair“ und alle Kochkunstführer aufgenommen. Das Gericht gehört zu den so genannten echten Garnituren. Sie werden in Butter gekocht, jedoch nicht frittiert. Das Geheimnis dieses Gerichts ist das mehrfache Wenden der rosettenartig gelegten Kartoffeln, was nicht ganz einfach ist. Man entwickelte in Frankreich eine spezielle Anna-Pfanne, mit der man das völlig unproblematisch meistern kann.
Escoffier beschreibt die Zubereitung so:
Schneiden Sie die Kartoffeln in die Form von Zylindern. Anschließend in dünne Rondelle, dann werden sie gewaschen und getrocknet. Legen Sie diese runden Scheiben im Kreis auf den Boden der Spezialform oder in eine Sautier Pfanne mit dickem Boden. Jede Schicht muss überlappend aufgelegt werden. Dann breiten Sie einen Mantel von flüssiger Butter auf der ersten Schicht aus und würzen gut. Auf die gleiche Weise verfährt man mit der zweiten Schicht und so weiter. Man macht insgesamt fünf oder sechs Schichten auf diese Weise, jede gut würzen und buttern.
Decken Sie das Utensil zu und geben es für 30 Minuten in einen gut geheizten Ofen. Drehen Sie das Ganze um, falls notwendig, um die Farbe auszugleichen. Nach 30 Minuten lässt man die Butter gründlich abfließen und kippt die Kartoffeln im Ganzen vorsichtig auf eine Platte.
Die Kartoffeln müssen dann mit der Platte noch einmal jeweils für ungefähr 5-10 Minuten auf jeder Seite in den Ofen, sodass sie richtig trocken werden, die Butter ausdampft und sie eine schöne Kruste bekommen.
Gute Anna Kartoffeln sind nicht fetttriefend, sondern knusprig wie Bratkartoffeln, getrocknet aber nicht trocken.
Ein Rezept braucht man für dieses Gericht nicht. Auf 1,5 kg mehlig kochende Kartoffeln rechnet man 200 g Butterschmalz. Die geschichteten Kartoffeln müssen vollständig mit Butter bedeckt sein. Am besten ist es, wenn man die Kartoffeln mit einer Mandoline schneidet, denn die Scheiben müssen sehr dünn sein, weil sie sonst nicht innerhalb dieser Zeit gar werden. Butterschmalz hat den Vorteil, dass sich die Bestandteile der Butter nicht erst trennen müssen, was die Garzeit verlängert.
Sehr gut zum Abgießen der Butter eignet sich ein runder Spritzschutz, bei dem man einige Löchelchen etwas dehnt. Das Butterfett muss wirklich restlos ablaufen, sonst bleiben die Kartoffeln fettig und bräunen nicht, weil sie zu feucht sind. Bitte nicht das Würzen vergessen.
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